субота, 19. април 2008.

Miroslav B. Dušanić: Soldatenbrief aus Bosnien

Irving Norman (1906–1989)
Soldatenbrief aus Bosnien

In unseren Seelen flattern schwarze Fahnen, denn
Überall stirbt der Mensch...
Ljubomir Micić

Die Toten lagen auf Straßen
und Gassen
mehrfach mit tiefen Messer-
wunden im Schädel...

Der Mensch wurde geschaffen
und umgebracht
wie das Vieh im Schlachthaus.
Nicht überall gleichzeitig
nicht überall
auf die gleiche Weise.

Rings um die Häuser
war alles grün...
Es schwebte eine Totenstille.
Die Götter haben den Glauben
verflucht
nur der Teufel noch...

Bitte Mama weine nicht
es wird bestimmt wieder alles gut.

...Als der nächste Morgen dämmerte
war das Wetter klar
und schön...
Und warum nicht?

Danach feuerten Kanonen
- eiserne Bestien - durch die Luft
ich stand stumm und still
sie flogen an mir vorbei und pfiffen.
Ich träumte von der höchsten Güte
und sah nur das vollkommene Böse.

Bitte Mama weine nicht
wozu Sentimentalität?
Ein neuer Gott wird geboren
um eine Neue Welt zu erschaffen
diese hier ist von keinem Wert.

Ich putzte stundenlang - tagelang
es half nicht
der Leichengeruch ging nicht weg
sobald ich die Augen schloss
sah ich die Toten wieder vor mir.
Ich hatte Angst zu schlafen
blieb nächtelang auf...

Bitte Mama weine nicht
der Mord ist nur ein Schritt.

Magisch ist das Wort: der Mörder
Mörder überall in allem...In mir.
Das Morden ist durchaus
dynamisch. Überall in allem
in dir...stirbt der Mensch.

Bitte Mama weine nicht
das ist ja wirklich famos.

Wir Serben und Muslime und Kroaten
vergossen das Blut wie den Schnaps.
Der mystische Halbgott Anarch
leitet uns
sich erheben und überschreiten
realisieren und überschäumen...
Mörder werden.

.............................................................
.............................................................


...Im Fieber zitterte ich verwundet
in dieser Arena unter dem Himmel.
Die ganze Nacht wanderte
und spuckte das Blut
oder es erschien nur so...

Bitte Mama weine nicht
alles wurde sowieso erbaut
um zerstört zu werden.

.............................................................
.............................................................
Die Stille duftet nach frischem Flieder
nach dem Feuer
dem Benzin
der Müdigkeit...

Bitte Mama weine nicht
bitte...

Miroslav B. Dušanić

Irving Norman (1906–1989)

7 коментара:

Анониман је рекао...

Sehr beeindruckend. Danke

Fabian Tietz је рекао...

Habe es mir gerade laut vorgelesen, es hat eine bittere still-laute Wirkung, die ich sehr mag und die unglaublich schwierig zu erzeugen ist. Gefällt mir sehr!!

vg
Fabian

Анониман је рекао...

Früher... da war ich als Touristin unterwegs von Portoroz bis Dubrovnik; und einmal, da führte die Reise über die ganze Autoput, bis Istanbul und noch weiter...
In den Ferienorten arbeiteten Slowenen, Kroaten, Serben friedlich miteinander. Ich erinnere mich an viel Grün, so viel Grün, dass es alte Weiblein in riesigen Haufen auf ihren gebeugten Rücken davontrugen... zu ihren Ziegen? Oft dachte ich an Mostar, wo junge Burschen für etwas Geld kopfüber von der berühmten Brücke in die Neretva sprangen...
"... als der nächste Morgen dämmerte, war das Wetter klar und schön... Und warum auch nicht?"
Das kann ich verstehen! Und doch versteh' ich überhaupt nichts! Ich war seitdem nie mehr in Ex-Jugoslawien.
Wie und was Du darüber schreibst, das ist gut und sehr beeindruckend. Danke!

Анониман је рекао...

Das bewegt mich richtig tief im Innersten.
Danke.

Миррослав Б Душанић је рекао...

Liebe Kollege,

Euer Verständnis für meine Thematik bedeutet mir sehr viel...

Kriegs- und Nachkriegs- bzw. Antikriegsliteratur wurde in Europa fast in die Vergessenheit
geraten. Man könnte sich nicht vorstellen, dass so was wieder passieren kann...Leider, leider....
Manche Kollege machten mir Vorwürfe, dass ich mich mit meiner Thematik (Krieg/ Verfolgung /
Exil/Einsamkeit etc.) von moderner Lyrik entferne.

Liebe Grüße
@miro

Анониман је рекао...

Dein Thema ist ein wichtiges Thema, und es hat in der Lyrik seine Berechtigung! Erlaube mir, dies an einem Beispiel aufzuzeigen:

Die Lebenden

Ich
war ein Flüchtling
in einem anderen Land

Du
warst krank
und wurdest gar nicht mitgenommen

Er
hatte Glück
und wurde nur leicht verwundet

Sie
wurde zwar vergewaltigt
aber ganz ohne schädliche Folgen

Es
war damals
überhaupt noch nicht auf der Welt

Wir ihr und sie
müssen nächstes Mal
alle sterben

Erich Fried
Er war Jude und musste aus Nazideutschland fliehen...
(Gedichte gegen das Vergessen, politische Lyrik)

Миррослав Б Душанић је рекао...

Liebe Claudia,

Erich Fried ist auch für mich einer von bekanntesten deutschsprachigen Lyrikern des 20. Jahrhundert,
aber er ist 1988 gestorben...da darf man auch nicht vergessen eine ganze Gruppe von verstorbenen
Exillyrikern wie Bertolt Brecht, Paul Celan, Rose Ausländer, Nelly Sachs, Theodor Kramer etc.

...in jedem Falle danke Dir für sehr passendes Gedicht...

LG
@miro